Fanny Weber und André Stöckli mit ihren Söhnen Nils und Norwin
Fanny Weber und André Stöckli mit ihren Söhnen Nils und Norwin
Monatshof August, 2022

Bergmatten, Boswil

Grossstadt der Legehennen

Landwirt André Stöckli betreibt in Boswil eine Legehennenaufzucht mit 8800 Tieren. Als Praxislehrer für Geflügelhaltung am Landwirtschaftlichen Zentrum Liebegg weiss er genau, worauf es beim Tierwohl ankommt.

«Die Junghennen leben bei mir wie in einer Grossstadt», erklärt André Stöckli und fährt fort: «Ein Huhn kann sich 30 bis 40 Artgenossen merken. Besteht eine Gruppe aus mehr Tieren, werden sie für das einzelne Huhn zu einer anonymen Masse – wie bei uns Menschen in einer Grossstadt.» Mit anderen Worten: Für das Huhn macht es keinen Unterschied, ob es mit 100 oder 10'000 Artgenossinnen zusammenlebt.

Wann fühlt sich ein Nutztier wohl?

Entscheidend für das Tierwohl ist nicht die Anzahl Tiere in einem Stall, sondern Grundsätze bei der Haltung. Nutztiere müssen frei sein von Hunger und Durst, frei von physischen Belastungen, frei von Schmerz, Verletzungen und Krankheiten, frei von Furcht und Gefahr und sie müssen ihre natürlichen Bedürfnisse und Triebe befriedigen können.

All dies bietet der moderne Aufzuchtstall von André Stöckli. Die Hühner können scharren und picken, im Sand baden, sie haben Rückzugsorte, einen Aussenklimabereich zum Sonnenbaden, und sie können auf Sitzstangen in der Höhe schlafen, um sich vor Feinden geschützt zu fühlen.

Das Huhn ist das häufigste Haustier des Menschen. Der Weltbestand wird auf mehr als 20 Milliarden Tiere geschätzt. Es stammt vom wildlebenden Bankivahuhn ab und kommt ursprünglich aus dem Dschungel. Die modernen Ställe mit den mehrstöckigen Volieren und den eher dunkel gehaltenen Innenräumen entsprechen dem natürlichen Lebensraum der Hühner. Der Aussenklimabereich wird von den Hühnern gerne besucht und wohl als Waldlichtung wahrgenommen.

Aufzucht während 18 Wochen

Die Küken sind einen Tag alt, wenn sie in André Stöcklis Aufzuchtstall kommen. In der Anfangszeit werden sie bei 32 Grad unter Wärmestrahler gehalten. Die Aufzucht der Legehennen dauert insgesamt 18 Wochen. Dann kommen sie auf einen Legehennenbetrieb, wo sie ab ihrer zwanzigsten Lebenswoche Eier legen.

Die Zucht von Legehennen bieten weltweit nur wenige, hochspezialisierte Firmen an. André Stöckli zieht Legehennen der Rasse LSL der deutschen Firma Lohmann auf. Es sind sogenannte Hybridhühner, die verschiedene Zuchtziele, die sich eigentlich widersprechen, in sich vereinen – zum Beispiel das Zuchtziel, dass das Huhn möglichst grosse Eier legt, und das Zuchtziel, dass die Eierschale möglichst bruchfest ist.

Sozialgefüge trotz grosser Herde

Draussen trocknet die Hitze gerade die Felder aus. Im Aufzuchtstall sorgt ein leistungsstarkes Belüftungssystem für ein angenehmes Klima und frische Luft. Im grossen Wintergarten hängen auf verschiedenen Höhen Sitzstangen von der Decke. Die Junghennen scharren in der Einstreue.

Aus Neugier machte André Stöckli ein interessantes Experiment. Er markierte Tiere, die im Stall nebeneinander schliefen. Das erstaunliche Resultat seiner kleinen Feldforschung: Die gleichen Tiere gesellten sich immer wieder für die Nacht am selben Ort im Stall zusammen. «Das Sozialgefüge funktioniert also auch in einer grossen Gruppe», stellt André Stöckli fest.

Hohe Standards, engmaschige Kontrollen

Nebst der Aufzucht der Legehennen betreibt André Stöckli auch eine Ferkelaufzucht mit 120 Muttertieren. Ohne Umschweife sagt er: «Klar, das ist eine Industrie, das muss man gar nicht romantisieren. Aber es ist eine Industrie, die von einer Bauernfamilie betrieben wird.» Im Vergleich zum Ausland ist Stöcklis Betrieb mit 120 Muttersauen lächerlich klein. In Deutschland etwa hält ein durchschnittlicher Betrieb rund zehnmal mehr Tiere.

André Stöckli: «Wem unsere Tierhaltung mit den hohen Standards und engmaschigen Kontrollen nicht genügt, der darf kein Fleisch essen. Denn so hoch wie bei uns in der Schweiz sind Tierwohl- und Tierschutzstandards nirgends auf der Welt.» Der Landwirt sagt, er habe kein Problem, mit Vegetariern über die Nutztierhaltung zu diskutieren, «denn die sind wenigstens konsequent».

Mühe bereite ihm die Scheinwelt, die Grossverteiler ihren Kundinnen und Kunden in der Werbung vorgaukeln. Diese habe nichts mit der Realität der Produktion zu tun. André Stöckli: «Im Werbespot liefert das Huhn sein Ei persönlich im Laden ab. In der Realität üben die Grossverteiler gegenüber den Produzentinnen und Produzenten einen enormen Preisdruck aus, um ihre Margen zu optimieren.»

Fachwissen weitergeben

Nach der landwirtschaftlichen Lehre absolvierte André Stöckli die Geflügelzuchtschule. Heute unterrichtet er als Praxislehrer am Landwirtschaftlichen Zentrum Liebegg in Gränichen angehende Landwirtinnen und Landwirte im Fach Geflügelhaltung und Bäuerinnen bei der Kleintierhaltung.

Den Bauernhof Bergmatten hat André Stöckli von seinen Eltern übernommen. Mit seiner Partnerin Fanny Weber sowie den Söhnen Nils und Norwin geniesst er die prächtige Aussicht über Bünz- und Reusstal. Fanny Weber ist Lehrerin an der Bezirksschule Aarau. Auf dem Betrieb hat André Stöckli Unterstützung von seinem Vater, einem Teilzeitangestellten und einem Arbeiter, der auf Stundenlohnbasis im Schweinestall aushilft.

Lebensmittel für Menschen

Der Hof hat eine Fläche von 32 Hektaren. Vier Hektaren sind als Ökoflächen ausgeschieden. Obstbäume, Bachläufe, Hecken und Riedflächen fördern die Biodiversität. Auf 28 Hektaren betreibt André Stöckli Ackerbau – schon seit vielen Jahren pfluglos. Er baut Brotweizen, Raps, Zuckerrüben und Mais an. Sein Grundsatz: «Ich sehe meinen Hauptauftrag darin, mit möglichst geringer Beeinträchtigung der Umwelt Lebensmittel für Menschen zu produzieren.»

Monatshof auf Facebook folgen

Folge uns auf Facebook

Massentierhaltungsinitiative

Mit der Massentierhaltungsinitiative kommt am 25. September eine Vorlage an die Urnen, deren Annahme schwerwiegende Auswirkungen auf die Schweizer Landwirtschaft hätte. Die Initiative suggeriert, es gebe in der Schweiz eine Massentierhaltung, obwohl der Begriff weder juristisch noch wissenschaftlich definiert ist. Und obwohl die Schweiz als einziges Land der Welt seit über zwanzig Jahren eine Höchstbestandsverordnung hat.

Die wichtigsten Argumente gegen die Initiative:

Bestehendes Angebot
Die von der Initiative geforderten Tierhaltungsstandards garantieren bereits bestehende Labels wie etwa Bio Suisse. Deren Marktanteil ist beim Fleisch jedoch teilweise sogar rückläufig.

Mehr Importe
Nur weil in der Schweiz weniger Fleisch produziert würde, würde nicht weniger konsumiert werden. Die Folge: Mehr Importe aus Ländern, in denen die Tierwohlstandards viel weniger hoch und streng kontrolliert sind als in der Schweiz.

Keine Wahlfreiheit
Es gäbe nur noch tierische Lebensmittel gemäss dem Bio-Standard. Die Wahlfreiheit entfällt.

Preise steigen
Die Preise für tierische Lebensmittel wie Fleisch, Eier oder Milch erhöhten sich und würden das Portemonnaie der Konsumentinnen und Konsumenten durchschnittlich mit rund 2000 Franken Mehrkosten pro Jahr belasten

Weitere Informationen

Adresse